"Kalte Füße am Ministertisch?"
Der Europaabgeordnete Helmut Scholz, Koordinator im Ausschuss für Internationalen Handel (INTA) für die GUE/NGL-Fraktion im Europaparlament, zur heutigen „Nicht-Entscheidung“ der EU-Handelsminister zu CETA:
Haben die EU-Handelsminister kalte Füße bekommen? Haben sie die Vorbehalte in einigen Staaten zu einem Umdenken geführt? In ihrer Runde am Dienstag in Luxemburg konnten sie sich nicht auf eine Zustimmung zum Freihandelsabkommen EU-Kanada CETA einigen. „Das lag wohl kaum an den prognostizierten gravierenden Folgen des Abkommens“, bezweifelt der Handelsexperte der Linksfraktion die Einsichtsfähigkeit der Minister. „Bulgarien, Rumänien und Slowenien wollen mit ihrer Taktik die Visa-Befreiung in Kanada auch für ihre Staatsangehörigen durchsetzen. Das ist ein legitimes Interesse.“ Anders bewertet er die Situation Belgiens: „Hier wird in einem Land von der Verfassung des Landes und den darin verbürgten demokratischen Rechten Gebrauch gemacht. Das Parlament der Wallonie fordert Nachverhandlungen von CETA, um die erreichten Sozialstandards und die öffentlichen Dienstleistungen zu schützen.“ Der Europaabgeordnete der Linken zeigt sich empört über den Druck, der nun auf die Wallonie aufgebaut wird. „Ministerpräsident Paul Magnette ist vom französischen Präsident Hollande in den Elysee-Palast einbestellt worden, um ihm über das starke französische Interesse an CETA zu verdeutlichen. Das ist ein arroganter Akt.“ Scholz fordert stattdessen, die Unterzeichnung des Abkommens, die für den 27. Oktober geplant ist, abzusagen. „Geben Sie sich ein Jahr Zeit, um den Text des Abkommens erneut zu lesen und zu verstehen, warum unsere Bedenken berechtigt sind“, fordert Scholz.
Scholz weiter: „Mit dem unbedingten Willen, CETA abzuschließen, zeigen Kommission und die übergroße Mehrheit der Regierungen, was ihnen die kritische Meinung großer Teile der Öffentlichkeit, der Zivilgesellschaft und selbst der Wirtschaft bedeutet: nichts. Deren Bedenken werden nicht ernst genommen. Satt dessen wird am Kurs auf neue Freihandelsabkommen festgehalten, die weit über die Abschaffung von Zollbarrieren hinausgehen. CETA, TTIP, TiSA & Co. werden dramatische Konsequenzen nicht nur für erreichte Standards im Verbraucher- und Arbeits- und Sozialrecht oder beim Umweltschutz haben, sie werden mit dem Investor-Staat-Klageverfahren tief in das juristische System eingreifen und mit Festlegungen wie jenen zur sogenannten regulatorischen Kooperation demokratische Entscheidungsprozesse aushebeln und insgesamt eine Welthandelsarchitektur zementieren, in der die „Großen“ das Sagen haben. Und nicht nur das. So hat EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström auf meine parlamentarische Anfrage hin bestätigt, dass allein durch die nach CETA wegfallenden Zolleinnahmen aus dem Handel mit Kanada dem Eigenmittelhaushalt der EU jährlich 311.000.000 Euro fehlen werden.“
„Gegen all diese Folgen haben Zehntausende Menschen gerade erst wieder am 17. September europaweit protestiert“, so der Abgeordnete. „Diese Aktionen wurden von ‚Brüssel‘ ebenso ignoriert wie die zahlreichen Studien, die sich kritisch mit den ‚neuen Freihandelsabkommen‘ auseinandersetzen. Selbst das Bundesverfassungsgericht hat in der vergangenen Woche in seinem Beschluss zu CETA festgelegt, dass Investitionsschutz, das Investitionsgericht, die Regelungen zu Arbeitsschutz, aber auch zu Portfolioinvestitionen nicht unter Umgehung der Zuständigkeit der Institutionen der Mitgliedstaaten zur Anwendung kommen dürfen.
Die Handelspolitik, die mit einem Ja zu CETA festgeklopft werden soll, stammt aus dem vergangenen Jahrhundert. Mit demokratischer Teilhabe hat sie ebenso wenig zu tun wie mit einem verantwortungsbewussten Herangehen an die Herausforderungen von Handels- und Wirtschaftsbeziehungen im 21. Jahrhundert.“
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