Wirtschaftsbündnis der »Ausgestoßenen«

19.06.2020

Die Eurasische Wirtschaftsunion und Serbien unterzeichnen ein Freihandelsabkommen. Weitere Verträge sind geplant

(Text aus der Tageszeitung "neues deutschland", 27.10.2019, https://www.neues-deutschland.de/artikel/1127753.eurasische-wirtschaftsunion-wirtschaftsbuendnis-der-ausgestossenen.html?sstr=Handel|Europa)

 

Freihandelsabkommen erregen in der EU die Gemüter. Übereinkünfte mit Kanada (CETA), Japan (JEFTA) oder den USA (TTIP) konnten nur gegen heftigen Widerstand der Bevölkerung und einiger Mitgliedsstaaten erzielt werden oder kamen gar nicht erst zum Abschluss. Aktuell sorgt ein Abkommen für Streit, bei dem die EU nicht einmal mitverhandelt - und genau das ist das Problem.

Am vergangenen Freitag unterzeichneten die Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) und Serbien in Moskau ein Freihandelsabkommen, doch bereits im Vorfeld hagelte es aus der EU Kritik. Er sei »irritiert«, sagte etwa der slowakische Außenminister Miroslav Lajčák Anfang September. Als EU-Beitrittskandidat könne Serbien »nicht in mehrere Richtungen zugleich gehen«. David McAllister (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Europaparlaments, verlangte sogar, Serbien müsse spätestens mit dem EU-Beitritt alle anderen Handelsabkommen aufkündigen.

In Europa gelten die meisten postsowjetischen Staaten - allen voran Russland - als staatskapitalistische Systeme, die westlich-liberale Werte wie Rechtsstaatlichkeit, privates Unternehmertum und Wettbewerb systematisch einschränken. Doch ausgerechnet die Mitgliedsstaaten der 2015 gegründeten Eurasischen Wirtschaftsunion - Russland, Belarus, Kasachstan, Kirgistan und Armenien - setzen massiv auf Freihandelsabkommen. Seit 2015 existiert eines mit Vietnam. Am 1. Oktober dieses Jahres wurde beim Gipfel der Eurasischen Union im armenischen Jerewan ein Freihandelsabkommen mit Singapur unterzeichnet, nun folgte Serbien. Auch mit Ägypten, Iran, Indien und China wird verhandelt.

Doch die Wirksamkeit dieser Verträge ist umstritten. Das Übereinkommen mit Singapur bewertet die russische Internetzeitung »Gazeta.ru« als »politische Imagegeschichte«. Das eigentliche Ziel liege darin, bei dem Eintritt in die großen und vielversprechenden asiatischen Märkte künftig eine Vorzugsbehandlung zu erhalten. Derweil wuchs der Handel mit Vietnam von 4,3 Milliarden Dollar im Jahr 2015 auf 6,7 Milliarden im vergangenen Jahr. »Zwischen unseren Ländern entwickelt sich eine gemeinsame Industrie«, sagte der Minister für Zollangelegenheiten in der Eurasischen Wirtschaftskommission, Mukaj Kadyrkulow. So baue der belarussische Lkw-Hersteller MAZ in Vietnam ein Werk mit einem Produktionsumfang von 1500 Lastwagen im Jahr. Dabei sollen vietnamesische Zulieferer bis zu 40 Prozent zur Produktion beitragen. Deutlich bescheidenere Erwartungen äußerte Serbiens Handelsminister Rasim Ljajić. Er rechnet in den nächsten Jahren mit einem Exportzuwachs von aktuell 1,1 Milliarden auf bis zu 1,5 Milliarden US-Dollar.

Nicht nur die Entwicklung des Außenhandels bleibt hinter den Erwartungen zurück, sondern auch die Bedeutung des gemeinsamen Marktes. Während in der EU die Mitgliedsstaaten 64 Prozent ihres Handels innerhalb des Staatenbundes abwickeln, sind es in der Eurasischen Union nur 14,5 Prozent. Seit der Gründung 2015 stieg der Binnenhandel um ein Prozent zwei Jahre später. Der Grund: Entgegen der öffentlich geäußerten Bereitschaft zu weiteren Integrationsschritten bleiben Handelsbarrieren bestehen. Die Volkswirtschaften Russlands, Kasachstans und Armeniens setzen zudem primär auf den Export von Rohstoffen, und die Nachfrage danach kommt in erster Linie aus der EU und China. Die Binnennachfrage ist dagegen in allen Mitgliedsstaaten schwach.

 

Dabei verfügt die EAWU über In-stitutionen für eine regionale Indus-triepolitik wie etwa eine gemeinsame Entwicklungsbank. Mit einem Kapitalvermögen von sieben Milliarden US-Dollar sind die Mittel stark begrenzt. Das Grundproblem ist jedoch ein anderes: Die Machtverhältnisse in der Union sind zu ungleich verteilt. Zwar werden im höchsten Entscheidungsorgan, dem Obersten Wirtschaftsrat, in dem jeder Mitgliedsstaat eine Stimme hat, Entscheidungen nach dem Konsensprinzip gefällt. Aber Russland kommt für knapp 88 Prozent des Budgets der Eurasischen Union auf. Zudem werden dort 87 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) des Staatenbundes erwirtschaftet, 80 Prozent der Gesamtbevölkerung sind hier zu Hause. Im Vergleich dazu stellt Deutschland 21 Prozent des BIPs der EU und 16 Prozent der Bevölkerung.

Vor allem die belarussische Regierung kritisiert die langsam voranschreitende Integration, setzt sie doch auf die Eurasische Union als Absatzmarkt für ihre Agrar- und Industrieprodukte. Präsident Alexander Lukaschenko forderte beim Gipfeltreffen in Jerewan, Barrieren für EAWU-Mitglieder »in sensiblen Bereichen wie zum Beispiel Staatsaufträgen« abzuschaffen. Ausdrücklich begrüßte er den Beschluss, bis 2025 einen gemeinsamen Finanzmarkt im Banken- und Versicherungssektor zu schaffen. Dies schaffe die »Grundlage, um freien Kapitalverkehr zu gewährleisten«.

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