EU-Handelskommissarin bleibt bei Investor-gegen-Staat-Klageverfahren
Am Mittwoch hat EU-Handelskommissarin Malmström ihre "Reformvorschläge" zur Staat-Investor-Gerichtsbarkeit vorgelegt. Statt jedoch das Sonderklagerecht für Unternehmen abzuschaffen - wie das u.a. in einer europaweiten Befragung zum Investor-gegen-Staat-Klageverfahren von Zehntausenden Menschen und auch von der Linkksfraktion im Europaparlament immer wieder gefordert wurde - hat sich die Kommission lediglich auf Modifizierungen beschränkt. Wir dokumentieren die Kommissions-Erklärung und eine Pressemitteilung des Bundestagsabgeordneten der LINKEN Klaus Ernst.
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Pressemitteilung der Kommission
Kommission schlägt Investitionsgerichtsbarkeit für TTIP und andere EU Handels- und Investitionsabkommen vor
Brüssel, 16. September 2015
Die Europäische Kommission schlägt mit der Investitionsgerichtsbarkeit ein neues und transparentes Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten vor.
Diese Investitionsgerichtsbarkeit soll an die Stelle des bisherigen Investitionsschutzverfahrens treten und bei allen Verhandlungen der EU zugrunde gelegt werden, auch bei den Gesprächen zwischen der EU und den USA über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP).
Ausgangspunkt für den neuen Vorschlag waren die Beiträge des Europäischen Parlaments, der Mitgliedstaaten, der Parlamente der Mitgliedstaaten und aller interessierten Kreise, die sich an der öffentlichen Konsultation zum Investitionsschutz beteiligt haben. Mit dem Vorschlag soll sichergestellt werden, dass alle Akteure dem System uneingeschränkt vertrauen können. Das neue System baut auf denselben Grundsätzen auf wie heimische und internationale Gerichte. Dadurch sind sowohl die gesetzgeberischen Recht der Regierungen als auch Transparenz und Rechenschaftspflicht gewährleistet.
Frans Timmermans, Erster Vizepräsidentder Europäischen Kommission, erklärte: „Mit unseren Vorschlägen für ein neues Investitionsgericht betreten wir Neuland. Qualifizierte Richterinnen und Richter werden für transparente Verfahren sorgen, und die Fälle werden auf der Grundlage klarer Regeln entschieden. Dem Investitionsgericht wird eine neue Berufungsinstanz zur Seite gestellt. Hiermit wahren wir die gesetzgeberischen Rechte der Regierungen und sorgen dafür, dass Streitigkeiten nach dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit entschieden werden.“
„Heute haben wir unser Versprechen eingelöst, eine neue, zeitgemäße Investitionsgerichtsbarkeit nach demokratischen Grundsätzen und unter öffentlicher Kontrolle einzurichten“, unterstrich EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström. „Es ist klargeworden, dass die bisherige Form der Streitbeilegung auf Misstrauen stößt. Gleichwohl sind die Investoren in der EU die eifrigsten Nutzer des derzeitigen Modells, das im Laufe der Jahre von einzelnen EU-Ländern entwickelt wurde. Somit muss Europa die Verantwortung für eine Reform und weltweit eine Vorreiterrolle übernehmen. Das neue System beinhaltet genau die Elemente, die Bürgerinnen und Bürger auch in heimische und internationale Gerichte vertrauen lässt. Zeitgleich mit der Unterrichtung der Öffentlichkeit wird der Vorschlag auch dem Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten übermittelt. Für mich ist ein offener und transparenter Meinungsaustausch zu diesem viel diskutierten Thema unverzichtbar.“
Zentrale Elemente der Reform
Der Vorschlag für die neue Investitionsgerichtsbarkeit enthält grundlegende Verbesserungen:
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Es soll eine öffentliche Investitionsgerichtsbarkeit, bestehend aus einem Gericht erster Instanz und einem Berufungsgericht, geschaffen werden.
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Urteile werden von öffentlich bestellten, hochqualifizierten Richterinnen und Richtern gefällt, vergleichbar mit dem Profil ständiger internationaler Gerichte wie dem Internationalen Gerichtshof und dem WTO Berufungsgremium.
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Das neue Berufungsgericht arbeitet nach ähnlichen Grundsätzen wie das WTO-Berufungsgremium.
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Die Möglichkeiten für Investoren, einen Streitfall vor das Schiedsgericht zu bringen, sind genau festgelegt und auf Fälle wie gezielte Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Rasse, Religion oder Nationalität, Enteignung ohne Entschädigung oder Rechtsverweigerung beschränkt.
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Das Regelungsrecht der Regierungen wird verankert und in den Bestimmungen der Handels- und Investitionensabkommen garantiert.
Diese Elemente bauen auf dem bestehenden EU-Konzept auf, das Folgendes gewährleistet:
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Verfahren sind transparent, Anhörungen öffentlich und Stellungnahmen online einsehbar. Parteien, die ein Interesse an dem Streitfall haben, erhalten Beitrittsrecht.
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Forum-Shopping (Wahl des günstigsten Gerichtsstands) wird ausgeschlossen.
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Unbegründete Klagen werden umgehend abgewiesen.
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Völkerrecht und innerstaatliches Recht werden klar voneinander abgegrenzt.
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Mehrfach- und Parallelverfahren werden vermieden.
Nächste Schritte
Das Verfahren ist damit noch nicht abgeschlossen. Die Kommission wird den Vorschlag jetzt mit dem Rat und dem Europäischen Parlament diskutieren. Danach soll der Text als EU-Vorschlag für die Gespräche und Verhandlungen mit den USA und für andere laufende oder künftige Verhandlungen dienen.
Hin zu einer internationalen Investitionsgerichtsbarkeit
Parallel zu den TTIP-Verhandlungen strebt die Kommission gemeinsam mit anderen Ländern die Schaffung eines Ständigen Internationalen Investitionsgerichts an, das langfristig an die Stelle der bisherigen Verfahren treten soll, die in EU-Übereinkommen, Abkommen zwischen EU-Mitgliedstaaten und Drittländern und in Handels- und Investitionsabkommen zwischen Drittländern zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten vorgesehen sind. Dies würde für mehr Effizienz, Einheitlichkeit und Legitimität sorgen.
Hintergrund
Der Textvorschlag zum Investitionsschutz und zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten und Investitionsgerichten bei TTIP ist hier abrufbar.
Hinweise zum EU Textvorschlag sind hier abrufbar.
Grundsatzpapier der Europäischen Kommission „Investitionen in die TTIP und darüber hinaus – ein Weg zu Reformen. Ein Plädoyer für das Regelungsrecht und die Abkehr von derzeitigen Ad-hoc-Schiedsverfahren hin zu einer Investitionsgerichtsbarkeit“. Veröffentlicht am 5. Mai 2015, abrufbar hier.
Richtlinien für die Verhandlungen über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika. Vom Rat angenommen am 17. Juni 2013, abrufbar hier.
Entschließung vom 8. Juli 2015 mit den Empfehlungen des Europäischen Parlaments an die Kommission zu den Verhandlungen über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft. Abrufbar hier.
IP/15/5651
http://europa.eu/rapid/press-release_IP-15-5651_de.htm
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16. September 2015
Pressemitteilung von Klaus Ernst
Klageprivilegien für Konzerne abschaffen statt kosmetisch korrigieren
"EU-Handelskommissarin Malmström präsentiert nur kosmetische Korrekturen am einseitigen, höchst umstrittenen Investorenschutz. Und sie bleibt inkonsequent. Wenn sie ihre bescheidenen Reformvorschläge ernst meint, müsste sie das bereits ausgehandelte Freihandelsabkommen mit Kanada sofort zurückziehen", kommentiert Klaus Ernst, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE, die in Brüssel vorgestellten Reformvorschläge der EU-Kommission. "Das CETA-Abkommen mit Kanada enthält private, geheim tagende Schiedsgerichte, die von der EU-Kommission nun als nicht mehr zeitgemäß eingestuft werden." Ernst weiter:
"Die am 4. Mai großspurig angekündigte Einschränkung des Klageprivilegs von Konzernen findet nun doch nicht statt. Malmström will die Öffentlichkeit beruhigen, mehr nicht. Es bleibt dabei: Freihandelsabkommen bescheren den Konzernen nur Rechte, keine Pflichten. Nur sie sollen das Recht haben, Staaten zu verklagen, niemand sonst. Klagen gegen Konzerne sind selbstverständlich überhaupt nicht vorgesehen. Die EU-Kommission will nur die Auswahl der Richter ändern und einen öffentlichen Handelsgerichtshof schaffen, der Handelskonflikte entscheiden soll. Klageberechtigt sollen aber nur ausländische Unternehmen sein, die ihre Profite von den Gesetzen des Gastlandes beeinträchtigt sehen. Dieses Klageprivileg, das nur Unternehmen - in der Regel internationale Großkonzerne - genießen, gehört endlich abgeschafft."
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